Ich war noch ganz benommen von der Reise durch die Zeit. Keiner hat mir gesagt, dass die Zeitmaschine einen so durchwirbelt. Die Gelenke schmerzen noch, die Gedanken sind etwas wirr, aber sonst bin ich gut angekommen. Ich sitze auf einem hypergestylten Bürostuhl vor einem ultimativen Schreibtisch mit vielen Funktionen, wie mir die vielen Knöpfe zum Drücken suggerieren. Vor mir baut sich ein Regalsystem auf, in dem mittendrin ein übergroßes Funkgerät steht. So sieht also im Jahre 2085 das Shack eines Funkamateurs aus: Ein Gerät, das an die alten Drake-Line oder Collins-Line erinnert. Zumindest in der Baugröße. Ein großer Bildschirm links, ein großer Bildschirm rechts und dazwischen ein dicker VFO-Knopf und weitere Drehregler und Tasten. Und oben drüber die Bezeichnung: Ein Yaeswood FTDXTS 18247-B-MK6-D/MP! Er kann gleichzeitig AM, FM, SSB, C4FM bis C8FM, DMRplus, DMRplusplus, DMR Mega und DMR Hyper sind bereits integriert als auch sämtliche Bildübertragende Systeme. FT8 bis FT21 sind selbstverständlich. Meine durch die Zeitreise implementierte Erinnerung sagt mir, dass irgendwann zwischen 2043 und 2047 die beiden Firmen Yaesu und Kenwood sich zusammengeschlossen haben, weitere Kleinfirmen zusammenkauften und jetzt gemeinsame Sache machen. Der nächste Schritt soll sein, Icom auch in den Verbund der Firma aufzunehmen.
Wow, von so einem Schlachtschiff habe ich noch nicht mal geträumt. Fast 1,6m breit, rund 50cm hoch und bestimmt 40cm tief! Vorsichtig drücke ich den Power On Knopf links oben in der Ecke und schwupps erfüllte sich das Gerät mit Leben! Zwei wunderschöne, bunte Bildschirme leuchteten mich an. Das S-Meter sprang in einem Zug auf 9+25 und schwankte da leicht um den Wert herum. Das wilde Rauschen, Krachen und Zirpen verschiedenster Signale erfüllte den Raum und den Wasserfall. Ich saß also vor dem Gerät, das mit ganz besonderer Technik ausgerüstet ist. Man braucht einfach keine Bedienelemente mehr. Was ich sah, war alles Attrappe aus nostalgischen Gründen. Schon die leichte Kreisbewegung des Zeigefingers vor dem Gerät reicht aus, den VFO zu verstimmen, ein konzentrierter Blick auf ein Signal im Wasserfall lässt bei Augenzwinkern sofort die Frequenz anpassen. Alle anderen Funktionen wurden mit einem neuronalen Interface direkt aus dem Hirn erfasst um umgesetzt. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Und auch in der Signalübertragung hat sich vieles verändert. Seit dem großen Betrugsskandal von 2063 und den daraus entstandenen militärischen Auseinandersetzungen müssen jegliche Funksignale, die emittiert werden, Rufzeichen, Namen, Alter, politische Orientierung, Religiöse Orientierung, sexuelle Orientierung und Lieblingsessen automatisch mit übermittelt werden, um von vorne herein eventuelle Streitigkeiten oder Missverständlichkeiten zu unterbinden. Sollte tatsächlich noch jemand beim QSO selber sprechen wollen, sorgt eine automatische Sprachauswertungen bei kritischen Signalworten sofort für Unterbrechung der Kommunikation, um nicht aus Versehen eine prekäre Situation zu schaffen. Dieses ist ja auch kein Wunder, als nach dem Zerfall der großen Staatgemeinschaften der USA, die Annexion von Russland durch Nordkorea, der Überfall der Japaner über China die Situation immer weiter verschlechterte und sich jeder nur noch als Schurkenstaat bezeichnet. Ein Wunder, dass der Amateurfunk als Völkerverständigend noch erlaubt ist.
So langsam dämmerte es mir wieder, wie alles begann. Die „Deutsche Funknetz AG“ hatte schon vor Jahren den Kampf gegen Eindringlinge in die Amateurbänder aufgegeben. Gegen die weltweiten 1462 Überhorizontradars im Kurzwellenbereich, 312 Langstrecken-Funksysteme und weit über 2000 Störsender auf allen verfügbaren Frequenzen war einfach nicht mehr anzukommen. Seitdem darf auch jeder Funkamateur ab der Einsteigerklasse mit einer Leistung von 7500 Watt, ab der E-Klasse mit 12,5 KW in die Luft gehen, damit wenigstens noch innerhalb des Bundeslandes klassische Funkverbindungen für Demonstrationszwecke für Interessierte möglich sind.
Das Funkgerät arbeitet völlig selbstständig ohne mein Zutun sämtliche Signale ab, die es irgendwie noch aus dem Rauschen ermitteln konnte. Dabei sah ich auf dem rechten Bildschirm nach uns nach die QSO auflisten, die das Gerät für mich führte. Da ja alle Informationen über mich schon übermittelt wurden, wird nur noch der Rapport angehängt und sollte es sich irgendwo um einen Contest handeln, ist die Laufende Nummer auch gleich angehängt. Die Bestätigung per eQSL ist auch schon erledigt und wer ein Diplom will, muss tatsächlich nur noch in der Liste der gespeicherten Diplome diejenigen, die man haben möchte, abhaken und das System kümmert sich darum. So haben viele noch zu ruhigeren Zeiten vormittags das DLD1000 erarbeitet. Aufgrund der Störungen war es aber schon 2050 kaum mehr möglich, das WAC mixed zu erreichen.
Und schon ist die Aufenthaltszeit meiner Zeitreise abgelaufen. Ich wollte noch schnell ein paar Bilder mit dem Handy zur Erinnerung machen, doch der Zeitschlauch riss mich rückwärts vom Schreibtisch weg, zog mich in den Trichter und katapultierte mich zurück in die Gegenwart.
Schlaftrunken komme ich wieder zu mir. Ich liege auf dem Sofa, der Nacken schmerz von der unbequemen Haltung. Noch leicht benommen stehe ich auf und gehe in die Küche.Nach so einem Erlebnis ist eine Tasse Kaffee jetzt genau das richtige! Noch während ich das Kaffeepulver in meine French-Press einfülle und das heiße Wasser aufgieße, musste ich mich vorsichtig zu meinem Schreibtisch umdrehen. Ja, da war er noch, der gewohnte Blick auf meine Funkgeräte, die Mikrofone, Stehwellenmeßbrücke, Netzteil Handfunkgeräte. Erleichtert atme ich durch. Was für ein Glück, dass es doch nur ein Traum war, meine Zeitreise ins Jahr 2085!
Gruß Stefan, DL8SFZ
Habe mich köstlich amüsiert :-).
Bitte mehr davon.
Kurzweiliger Schreibstil gepaart mit netten Ideen.
73 de Stavi DG3SEG
Hallo Hansjörg,
danke für das Lob. Sich aber deswegen zurückziehen ist ja auch nicht der richtige Weg! Vorleben, wie es sein kann/soll ist da der bessere Weg. Also bleib dran und nutze deine Station!
Ob das beschriebene Szenario wirklich mal so wird, will ich nicht hoffen, aber der Amateurfunk wird weiterleben. Er ist in den letzten 70 Jahren schon so oft für Tot erklärt worden und lebt immer noch. Das schafft er auch weiterhin!
Gruß Stefan
Toll geschrieben, Stefan !
…. und ist leider nicht ganz von der Hand zu weisen …
schade um dieses wunderbare Hobby.
Muß mich leider immer mehr davon zurückziehen und denke tatsächlich immer öfter an meine Anfangszeiten zurück als die Gemeinschaft der Funkamateure und das persönliche Gespräch auf den Bändern noch groß geschrieben wurde.
Mach weiter so, Stefan.
73 de Hansjörg , DH1SAV